Die Studie von Themis – Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt ist eine qualitative Interviewstudie, die 2019 durchgeführt und im April 2020 veröffentlicht wurde. Es wurden Interviews mit 16 Expert*innen (14 Frauen und 2 Männern) aus der deutschen Film-, Fernseh- und Bühnenbranche geführt. Die Studienteilnehmenden wurden unter anderem nach branchenspezifischen Besonderheiten, dem Umgang mit und Erfahrungen von Grenzen und Grenzüberschreitungen sowie sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt in ihrer Branche befragt. Außerdem wurden ihre Empfehlungen und Wünsche festgehalten.

Um ein möglichst aussagekräftiges Bild zu erhalten, wurde darauf geachtet, dass die Expert*innen aus unterschiedlichen Gewerken stammen, auf unterschiedlichen Hierarchieebenen arbeiten und über unterschiedlich viel Berufserfahrung verfügen.

 

Einige der Ergebnisse:

Besonderheiten der Branche hinsichtlich Zusammenarbeit und Miteinander

Gegenüber anderen Arbeitsfeldern zeichnet sich die Branche aus durch:

  • ein großes Machtgefälle mit starken Abhängigkeiten, Genderungleichheit
  • die Vermischung privater und professioneller Räume
  • körperbetonte Umgangskultur und Körperlichkeit (insbesondere für Darsteller*innen), die eigene Herausforderungen bezüglich Nähe und Distanz mit sich bringt

 

Die häufig prekären Arbeitsbedingungen sind durch Zeit- und Erfolgsdruck gekennzeichnet, durch die bisweilen ein emotionaler Ausnahmezustand entsteht. Auch ist es teilweise gewünscht, dass Schauspieler*innen sich im Rahmen einer Produktion in einen vulnerablen Zustand versetzen.

Das Setting am Arbeitsplatz ist familiär, aber gleichzeitig durch unausgesprochene Machtgefälle geprägt. In der kleinen Szene vergrößern sich die Abhängigkeiten, da zukünftige Engagements auf Empfehlungen beruhen.

Die große physische Nähe zwischen Schauspieler*innen untereinander oder zwischen Schauspieler*innen und Regisseur*innen beziehungsweise Schauspieler*innen und Maskenbildner*innen, Kostümbildner*innen oder ähnlichen ist eine besondere branchenspezifische Herausforderung.

 

Umgang mit Grenzen und Grenzüberschreitungen

Formen von Grenzüberschreitungen:

  • Überschreiten der geplanten und zumutbaren Arbeitszeit, Nichteinhalten finanzieller Verabredungen
  • versuchtes Anbahnen „romantischer“ Beziehungen aus einer Machtposition heraus
  • psychische Gewalt: Ignorieren individueller Grenzen bezüglich intimer Szenen
  • Unterdrucksetzen (zum Beispiel Krankmeldungen, die nicht akzeptiert werden) und Mobbing
  • verbale Grenzüberschreitungen, gezielte Diskriminierung und Beleidigung
  • grenzüberschreitende Bewertungen von Körpermerkmalen, sexualisierte Kommentare, sexuelle Belästigung

 

Überwiegend wurden allerdings körperliche Grenzüberschreitungen in den Interviews thematisiert: sexualisierte Berührungen und Küssen ohne Konsens, aber auch Körperverletzungen. Wobei in den Schilderungen mehrfach auf einen Zusammenhang dieser Übergriffe mit Machtdemonstrationen hingewiesen wurde.

Auf den Umgang mit den eigenen Grenzen angesprochen, gaben die meisten an, dass sie sich resigniert fügten, nur wenige konnten verbal Grenzen ziehen, manche verließen sogar die Branche.

 

Umgang mit sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt

10 der 16 Befragten gaben an, selbst sexuelle Belästigung im Arbeitskontext erlebt zu haben. Die anderen waren Zeug*in davon geworden oder hatten von Kolleg*innen davon gehört.

Allerdings herrscht in der Branche eine große Unsicherheit im Erkennen von und Umgang mit sexueller Belästigung aufgrund sogenannter „Grauzonen“ beziehungsweise fließender Grenzen. Den meisten fehlt eine (juristische) Definition des Phänomens. 

Häufig sind die Täter*innen in der Branche bekannt, sie werden aber geduldet.

Als besonders Hilfreich im Umgang mit sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt wurde kollegiale Solidarität genannt. Auch eine insgesamt respektvolle Umgangskultur sei hilfreich, genauso wie eine einschreitende Leitungsebene.

Als besonders gefährdet gelten junge Berufseinsteiger*innen oder Frauen in besonders weiblich konnotierten Berufen. Aber die Angst vor beruflichen Nachteilen und Stigmatisierung ist insgesamt stark und hält viele von einer Beschwerde ab.

 

Wünsche und Empfehlungen

Die Expert*innen wünschten sich mehr Prävention durch Sensibilisierung und klar kommunizierte Verhaltensrichtlinien sowie eine stärkere Präsenz von Hilfsstrukturen. Sie plädierten für Interventionen durch Ermittlungsinstanzen, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung und forderten klare Konsequenzen für Täter*innen.

 

Auf der Webseite von Themis kann die ganze Studie als PDF heruntergeladen werden.