Re_Centering – Intersektionale Räume im Feminismus

Am 20. Oktober feierte das Missy Magazine gemeinsam mit Diversity Arts Culture sein 10-jähriges Jubiläum im HAU - Hebbel am Ufer. Die gemeinsame Veranstaltung eröffnete einen Raum, der die Perspektiven von Frauen* of Color auf den gegenwärtigen Feminismus in den Vordergrund stellte und damit eine häufige Leerstelle im feministischen Mainstream benannte.

 

Der diskursive Teil mit dem Titel "Re_Centering - Intersektionale Räume im Feminismus" wurde von Margarita Tsomou (Missy Magazine) im Austausch mit Bahareh Sharifi (Diversity Arts Culture) kuratiert und bot mit Vorträgen der Künstlerin und Aktivistin Noah Sow und der Soziologin Encarnación Gutiérrez Rodríguez sowie Gesprächsrunden mit den Organisationen EOTO, ADEFRA roots, International Women’s Space, maiz, RomaniPhen und LesMigraS einen vielstimmigen und intersektionalen Blick auf Feminismus. 

 

Auszug aus Bahareh Sharifis Eröffnungsrede:

"Wenn unterrepräsentierte künstlerische Praxis wahrgenommen wird, dann versucht die Kunstwelt oft, diese in die Black Box des Theaters oder den White Cube des Museums zu pressen, wo diese sich dann nach den Regeln des mehrheitsgesellschaftlichen Kulturbetriebs verhalten muss. In Abgrenzung dazu versuchen wir, uns mit unserer Arbeit am Wissen und den Errungenschaften marginalisierter Communities zu orientieren. Wir wollen ihre unterrepräsentierten Perspektiven in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen und entwickeln unsere Programme und Maßnahmen ausgehend von den Forderungen, Bedarfen und der Kritik, die sie formulieren.

Es geht um die Verschiebung der Blickrichtung.

Denn wenn die Perspektive umgedreht wird und die Peripherie das Zentrum bildet, wird deutlich, dass  essentielles Wissen und Erfahrungswerte vorhanden sind und zwar seit geraumer Zeit. Jenseits der dominanten Geschichtsschreibung gibt es in den Communities ein kollektives Gedächtnis, in das Wissen aber auch Strategien zur Selbstermächtigung und Selbstorganisation Eingang gefunden haben, die sonst unberücksichtigt blieben und im Geschichtsbewusstsein der Mehrheitsgesellschaft teils überschrieben wurden.  

Im Zentrum der heutigen Veranstaltung stehen daher Initiativen und Vertreter*innen von Communities, die sich in ihrer Arbeit seit langer Zeit einem Feminismus widmen, der intersektionale Perspektiven zur Grundlage hat und für deren Sichtbarkeit und Repräsentation kämpft. Sie schaffen Räume für Empowerment, Wissenstransfer und die Archivierung und Dokumentation ihrer Arbeit und die ihrer Communities.

[...]

Auch wenn marginalisiertes Wissen vereinzelt Eingang in den Mainstream findet, so ist es selten verknüpft mit den Personen, die dieses Wissen erarbeitet haben und in sich tragen. Das Wissen wird häufig lückenhaft angenommen, entpolitisiert und überschrieben, gerät oftmals in Vergessenheit. In dieser Ambivalenz stellt sich heute die Frage wie eine strategische Wissensproduktion aussehen kann, die Vereinnahmung, Aneignung und Überschreibung verhindert und zugleich strukturelle Veränderungen mit sich führt.

Die eigene Geschichte und die Genealogie marginalisierter Communities nicht zu kennen, bedeutet in den meisten Fällen das Rad von neuem erfinden zu wollen. Nicht zu wissen, dass viele rassistische und sexistische Dynamiken bereits in abgewandelter Form schon da gewesen sind. Genau wie die widerständigen Praktiken, die sich ihnen entgegenstellen.

Von ihnen zu wissen, bedeutet den Kreislauf der Überschreibung und des Backlashs zu durchbrechen."