Hidden Colours ist eine dreiteilige Porträtserie über Künstler*innen of Colour, die Barrieren, denen sie im Kulturbetrieb begegnen, und die Ausschlüsse, die sie erfahren.

Folge 2 mit der Künstlerin, Aktivistin und Feministin Sanni Est

Das Gespräch im Wortlaut

Ich heiße Sanni, ich wohne in Berlin seit 12 Jahren, also seit 2007, und ich komme ursprünglich aus Recife in Brasilien. Ich bin Künstlerin, Aktivistin, Feministin.

 

Ich komponiere, ich singe und ich produziere. Aber ich schauspiele auch gerne, also ich habe auch in ein paar Filmprojekten mitgemacht. Ich bin gerade in einem Theaterprojekt, als Performerin, Sängerin, Tänzerin, wenn man das so nennen kann. Ich gehe sehr gerne ins Extreme. Ich habe auch keine Scheu davor, Gefühle wie Trauer oder Verrücktheit oder Dringlichkeit mit meinem Körper, mit meinen Emotionen zu erforschen. Ich behandle Themen wie Trauer, Einsamkeit, Ablehnung, Trauma, aber auch Empowerment, also die Heilung von Trauma. Ich setze mich sehr viel für intersektionalen Feminismus ein, [für] Empowerment von nicht-weißen, nicht-cis, nicht-heteronormativen Körpern.

Konkrete Hindernisse in der künstlerischen Arbeit [kann man] zusammenfassen [mit] Rassismus und Sexismus. Andere, konkretere Sachen sind auf jeden Fall […] Geld und Herkunft. Ich habe keine Familie, die da ist und mir ein MacBook schenkt zu Weihnachten. Ich habe keine weiße europäische Familie, die mich aufnehmen kann und sagen kann: „Ja, nimm dir eine Auszeit, wenn du ein bisschen Internet-Detox brauchst.“ Weißt du, ich hätte gerne Internet-Detox, aber ich kann es mir nicht leisten. Ich glaube, das [fehlt im] deutschen Verständnis: „Ah, das ist eine Person of Color, die hat einfach nun mal mit mehr zu kämpfen als wir und die dürfen wir nicht so [be]urteilen wie weiße Deutsche.“ […] Als ich noch klein war und gesungen habe, wollte ich wie Björk singen und ich war frustriert und dachte, dass meine Stimme blöd ist, weil sie tiefer ist. Ich habe gesungen, seit ich neun bin, und ich […] hatte eine Förderung von der staatlichen Musikschule in Recife. Ich war gut, aber ich habe mich einfach nicht getraut, ich habe mich wirklich geschämt.

 

Ich bin so froh, dass [ich] jetzt in den 10er Jahren, und fast 20ern, mehrere trans* und non-binary Vorbilder habe, wie z.B. Cibelle – also er*sie nennt sich nicht mehr Cibelle, aber wenn man seine*ihre Arbeit angucken will, dann heißt es Cibelle auf Spotify. Der*die wohnt jetzt auch in Berlin. Mikey, Lyra Pramuk, das ist auch eine Transfrau, die ist Hammer, die Kunst, die sie macht. Colin Self, also ganz, ganz viele Leute. Berlin ist gerade echt mega inspirierend und ich freue mich sehr zu dieser Generation, zu dieser Zeit [zu gehören], hier auch die künstlerische Szene mitbewegen zu dürfen. In meinem Album z.B. thematisiere ich sehr viel romantische Liebe, Einsamkeit und Ablehnung. Ich erzähle das aus der Ich-Perspektive und ich rede über […] eine traumatische Beziehung mit einem Mann als Transfrau of Color. Das ist sehr, sehr traurig und sehr dramatisch und ich dachte, die Menschen, die sich damit identifizieren werden oder könnten, werden bestimmt Menschen [sein], die genauso systematisch abgelehnt werden wie ich.

Für mich fehlen Perspektiven von Migrant*innen, von PoC, also Menschen of Color, von queeren Menschen überall. Ich wünsche mir wirklich, dass mehr Transleute, dass mehr Migrant*innen – und mit Migrant*innen meine ich auch nicht nur PoC, sondern Leute, die wirklich aus anderen Ländern kommen und andere Perspektiven haben – in Machtpositionen sind. Also, dass Leute wie ich, wie du, wie andere Leute, Entscheidungen treffen können.