„Auf Augenhöhe“ – so wollen viele Organisationen und Projekte in der Kulturellen Bildung gerne arbeiten, schließlich geht es darum, allen zu ermöglichen, am kulturellen Leben teilzunehmen. Doch wie lässt sich Augenhöhe herstellen und wie ernst ist es uns mit der Augenhöhe, wenn sie Machtstrukturen hinterfragt oder sogar dazu beiträgt, Macht umzuverteilen? Am 26. April luden wir gemeinsam mit dem Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung ins Podewil ein, um über machtkritische und diversitätsorientierte Ansätze in der Kulturellen Bildungsarbeit zu sprechen. Die Kooperation setzte für den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung einen weiteren Akzent in seiner seit nun mehr zwei Jahren vorangetriebenen Diversitätsentwicklung. Für uns bot die gemeinsame Veranstaltung den Rahmen aufzuzeigen, dass die diversitätsorientierte Öffnung des Kulturbetriebs bereits bei der Nachwuchsförderung, das heißt der Kulturellen Bildung ansetzen muss.

Eröffnung mit DGS-Dolmetscher*innen und Yasmina Bellounar und Sarah Schaaf vom Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung

Eröffnung mit DGS-Dolmetscher*innen (außen) und Yasmina Bellounar und Sarah Schaaf vom Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung (in der Mitte, v.l.n.r.).

Privilegien und Diskriminierung – zwei Seiten einer Münze

Wir können uns unsere Kulturinstitutionen als Burgen vorstellen. Als Bastionen von und für mehrfachprivilegierte Menschen, die mitten in einer diversen Gesellschaft stehen, ohne selbst divers zu sein. Auf deren Zinnen Fahnen wehen wie „Inklusion“, „Diversität“ oder „Weltoffenheit“ – Begriffe, die die Institutionen vor sich her tragen, ohne sie jedoch mit Leben zu füllen.

Mit diesem eindrücklichen Bild eröffnete Anja Schütze (Bundesvereinigung Kultureller Kinder- und Jugendbildung) ihren Input „Diskriminierungskritische Praxis der Kulturellen Bildung“, in dem sie dem Kulturbetrieb den Spiegel vorhielt. Der Kulturbetrieb, so Schütze, benutze das Wort Diskriminierung nicht, wenn er auf seine eigenen Strukturen blicke. Das Wort gelte als radikal und bedrohlich. Diskriminieren würden nur die anderen, die AfD oder die Nazis in Sachsen. Dabei sei der Kulturbetrieb ein elitäres System, das sich reproduziere. Schütze forderte den Kulturbetrieb deshalb dazu auf, anzuerkennen dass Privilegien und Diskriminierung zwei Seiten derselben Münze sind und Diskriminierung auf allen Strukturebenen abgebaut werden muss. Diskriminierung existiere im Kulturbetrieb nicht nur auf individueller Ebene, wo sie sich z.B. durch verbale Ausfälle zeige, sondern genauso auf struktureller und sozio-kultureller Ebene: Wer wird Intendant*in? Welche Expertisen sind im Vorstand vertreten? Wer kann studieren und welcher Kulturkanon wird gelehrt?

Die Kulturinstitutionen hätten, so Schütze, zwar zumindest teilweise erkannt, dass es im Kulturbetrieb ein Problem gebe. Sie versuchten aber häufig diesem Problem mit Projekten beizukommen oder die Verantwortung auf Einzelpersonen abzuwälzen. Doch nur eine kritische Analyse der eigenen Strukturen, die zu einem Wandel in Personal, Programm und Publikum führe, könne erfolgreich sein.

 

Vielfältige Perspektiven auf Empowerment

Auf Anja Schützes Vortrag folgten drei weitere Inputs, in denen die Referent*innen Yemisi Babatola (Each One Teach One), Andreas Döltgen (freiberuflicher Entwickler für Projekte mit Gebärdensprache) und Jacques Klement (StreetUniverCity Berlin) aus unterschiedlichen Perspektiven thematisierten, dass nur eine diversitätssensible intersektionale Kulturelle Bildung empowernd sein könne.

Yemisi Babatola stellte dazu in ihrem Vortrag „Community-basierte Empowermentarbeit mit Schwarzen Jugendlichen“ das Each-One-Teach-One-Prinzip vor, das in ihrer Arbeit beim gleichnamigen Verein zentral ist. Der Verein Each One Teach One entstand als Community-Projekt: eine Bibliothek von und für die Schwarze Community, in der Wissen aus Schwarzer Perspektive gesammelt und weitergegeben wird. Auch die „Black Diaspora School“ des Vereins funktioniert  nach diesem Prinzip: Hier lernen junge Schwarze Menschen unterschiedliche intersektionale Schwarze Sichtweisen kennen und werden dazu ermächtigt, ihre eigene Stimme in der weißen Mehrheitsgesellschaft zu finden.

Andreas Döltgen sprach in seinem  Vortrag „Entmächtigung und Ermächtigung aus tauber Perspektive“ über die Erfahrungen, die viele taube Menschen in Projekten der Kulturellen Bildung machen: Oft verhielten sich Hörende gegenüber Tauben paternalistisch und ließen sie nur an Projekten als Teilnehmende mitwirken, nicht in Leitungsfunktionen und ohne großen Gestaltungsspielraum. Außerdem erwarteten Hörende in aller Regel Dankbarkeit und Anerkennung dafür, dass sie Projekte für taube Personen machten. Wirklich ermächtigend sei Kulturelle Bildung für taube Personen deshalb nur, wenn nicht alle Privilegien bei den Hörenden blieben.

„Trust yourself – so geht Ermächtigung!“, lautete der Titel von Jacques Klements Vortrag, in dem er die StreetUniverCity vorstellte. Jugendliche, die von der regulären Schulbildung „die Nase voll“ hätten, nähmen die Angebote der StreetUniverCity freiwillig an, weil hier das Machtverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden entkräftet sei. Bei der Auswahl der Lehrenden käme es der StreetUniverCity zum Beispiel nicht darauf an, ob die Bewerber*innen einen Masterabschluss und jahrelange Berufserfahrung hätten, sondern ob sie sich dafür begeisterten, Wissen weiterzugeben. Viele ehemalige Absolvent*innen seien durch die StreetUniverCity so stark empowert worden, dass sie sich selbst jetzt zutrauten, anderen etwas beibringen zu können.

Abschlussrunde mit Moderatorin Marwa Al-Radwany, Lisa Scheibner (Diversity Arts Culture) und den Referent*innen.

Abschlussrunde mit Moderatorin Marwa Al-Radwany, Lisa Scheibner (Diversity Arts Culture) und den Referent*innen.

Fragen, die weiterführen

Im Anschluss an die Inputs wurde gemeinsam mit den Referent*innen an vier verschiedenen Thementischen zu Fragen der machtkritischen Projekt- und Organisationsentwicklung gearbeitet. Dabei zeigte sich zunächst, dass die meisten Teilnehmer*innen ein großes Bedürfnis hatten, eigene Fragestellungen einzubringen und zu diskutieren. Wie gehe ich damit um, dass in meiner Institution viele keinen Grund sehen, etwas zu verändern? Wie kann ich in einer Leitungsposition intersektional arbeiten, ohne für andere zu sprechen? Wie mache ich Konzepte wie „Intersektionalität“, „Diversität“ oder „Inklusion“ in meiner Arbeit konkret fruchtbar? Anhand vorbereiteter Fragestellungen diskutierten die Thementische dann jeweils zu eigenen Schwerpunkten – „Personal“, „Programm“, „Netzwerke“ und „Intersektionalität“ –, wie sich der Status quo in einer Institution/ einem Projekt adäquat beschreiben lasse, wie sich herausfinden lasse, welche Perspektiven im Team beziehungsweise Programm fehlten, und wie die eigene Motivation zur Veränderung untersucht werden könne. In einem nächsten Schritt wurden dann Optionen zur Veränderung und zur Neugestaltung der Praxis bestimmt.

 

Nach der Arbeit an den Thementischen kamen die Teilnehmenden noch einmal im Foyer zusammen, wo die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen in einer Fazitrunde auf dem Podium präsentiert wurden. Dabei erstaunte, dass alle Arbeitsgruppen recht naheliegende Erkenntnisse hatten: Oft sei es die fehlende Zeit, die verhindere, dass Prozesse, Strukturen und Programme nachhaltig verändert würden. Aber auch Emotionen wie mangelnde Empathie, mangelndes Verständnis und Frustration stünden machtkritischen Veränderungen im Wege.

Am Ende gingen die Teilnehmenden daher mit vielen neuen Fragen zum Weiterdenken aus der Veranstaltung heraus: Wie kann ich Dringlichkeit für Veränderung in meinem Arbeitsumfeld erzeugen? Wie können Veränderungen nachhaltig verankert werden? Und wie schaffe ich es Arbeitszusammenhänge zu entschleunigen, um Ressourcen für Veränderungsprozesse freizumachen?

 

(Text: Cordula Kehr)

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22.10.2018

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