Das Gespräch im Wortlaut

Rebecca Maskos: Hallo und Herzlich willkommen zur „Podcastserie“ Rampenlicht, ein Podcast zu Behinderung und Kultur. Mein Name ist Rebecca Maskos und ich unterhalte mich mit behinderten Künstlerinnen und Künstlern über Inklusion und Vielfalt – in Musik, im Theater, im Tanz und in der Bildenden Kunst. Und es geht auch um den Zugang zum Kulturbetrieb.

[Musik]

In der dritten Folge sitze ich hier im Rampenlicht-Studio zusammen mit zwei Bildenden Künstlerinnen, die beide auch Behinderungen haben. Das sind Inga Scharf da Silva und Annton Beate Schmidt. Hallo ihr beiden!

 

Inga Scharf da Silva und Annton Beate Schmidt: Hallo!

 

Rebecca Maskos: Annton, du bist Malerin und Illustratorin. Du bist 51 Jahre alt, bist gelernte Filmcutterin und du wohnst in einem sehr kleinen Dorf in Teltow-Fläming. Richtig?

 

Annton Beate Schmidt: Ja, genau.

 

Rebecca Maskos: Und du hast dort auch dein Atelier. Wie sieht denn die Kunst aus, die du da in deinem Atelier produzierst?

 

Annton Beate Schmidt: Also ich mache hauptsächlich Malerei, im Moment ist das Medium in der Regel Aquarellfarbe. Es geht um Porträts, Selbstporträts und um Essen.

 

Rebecca Maskos: Also du malst Essen?

 

Annton Beate Schmidt: Ich male Essen.

 

Rebecca Maskos: Aha! Das inspiriert dich?

 

Annton Beate Schmidt: Das ist so eine Nebenserie, die irgendwann daraus entstanden ist, dass sehr viele Menschen inzwischen ihr Essen fotografieren und auf den diversen Sozialen Medien posten. Das fand ich ein bisschen langweilig und habe dann irgendwann angefangen, das zu zeichnen und inzwischen ist es so, dass ich irgendwie im Monat, […] 10,12 solche Zeichnungen habe, von irgendeinem Essen, das bei mir auf dem Teller war.

 

Rebecca Maskos: Also du malst Foodporn sozusagen.

 

Annton Beate Schmidt: Ein bisschen.

 

Rebecca Maskos: Ok.

 

Annton Beate Schmidt: Sehr oft in Kombination mit Insekten. Das mögen manche jetzt weniger als Foodporn bezeichnen (lacht).

 

Rebecca Maskos: Interessant. Wo kann man sich das angucken?

 

Annton Beate Schmidt: Man kann das natürlich auf meiner Website sehen. Dann gibt es immer wieder Offene Ateliers. Irgendwann in diesem Jahr wird in Berlin noch eine größere Ausstellung stattfinden. Da weiß ich aber noch nicht genau wo.

 

Rebecca Maskos: Und Inga, du bist 47 und wohnst in Berlin. Und du machst ja neben der Kunst viele andere Sachen: Du promovierst gerade an der Humboldt-Uni, Fachbereich Ethnologie, aber bist auch als Malerin tätig, in einem Atelier im Haus in der Sigmaringer Straße. Wie würdest du denn deine Kunst beschreiben?

 

Inga Scharf da Silva: Ich male auch hauptsächlich figurativ und habe eigentlich mit Porträts angefangen. Das war so vor 20, 25 Jahren (lacht) und eigentlich steckte da auch immer der Wunsch [dahinter], dass ich mit anderen kommunizieren kann, dass ich immer das Gefühl hatte, ich war irgendwie abgeschnitten. Ich habe vieles nicht mitbekommen und deswegen war eben das Porträt, also diese Art von Malerei, für mich besonders wichtig, weil ich dann einfach das ausdrücken konnte, was ich immer gelesen habe: also die Mimik und die Lippen und das Gesicht, was es ausdrückt. Und von da aus […] habe ich eigentlich immer weiter figurativ gemalt. Ich habe auch mal ein bisschen abstrakt gemalt, aber sehr wenig. Und jetzt bin ich gerade bei einem mythologischen Zyklus […], wo ich eben auch ganze Menschen male, die im Raum stehen, und das sind sozusagen Gottheiten, die sich im Menschen darstellen.

 

Rebecca Maskos: Du hast ja mehrere Beeinträchtigungen. Du hast seit der frühen Kindheit eine schwere Hörbehinderung und du hattest noch eine schwere Krankheit im Erwachsenenalter, die dich auch immer noch begleitet. Du bist chronisch krank. Wenn ich das richtig verstehe, bezeichnest du dich auch so?

 

Inga Scharf da Silva: Ja.

 

Rebecca Maskos: Wie würdest du sagen haben diese Beeinträchtigungen Einfluss auf deine Kunst gehabt? Ein bisschen hast du es ja gerade schon angedeutet, dass die Schwierigkeit oder die Frage der Kommunikation sich wiederfindet in deiner Kunst.

 

Inga Scharf da Silva: Ja. Du hast jetzt gerade auch nochmal die Krankheiten angesprochen. Das war für mich wirklich ein Einbruch, obwohl es eigentlich eine große Schaffensperiode dann auch war. Ich war eben so krank, dass ich auch sehr schlecht laufen konnte. Ich hatte ganz starken Schwindel und diese Krankheit konnte eben auch nicht richtig diagnostiziert werden, musste dann drei Jahre lang mit Chemotherapie behandelt werden und mein Glück war dann, dass ich vom Berufsverband für Bildende Künstler ein Atelier bekommen habe, was direkt bei mir um die Ecke liegt. Ich konnte da immer hinlaufen und für mich war das auch eigentlich eine Überwindung überhaupt aus dem Haus raus zu kommen und erst mal dahin zu laufen (lacht). Ich würde sagen, ich habe mich eigentlich wieder ins Leben zurück gemalt. Das hat sich dann so ausgedrückt: Vorher habe ich eben sehr expressiv und sehr farbig gemalt und dann auf einmal war das schlagartig schwarz-weiß. Also ich habe ein bisschen Preußisch Blau noch und Umbra gebrannt dabei gehabt, aber sonst war es mehr oder weniger schwarz-weiß. Und ich habe eine ganze Zeit lang auch nur mich selbst gemalt. Das war aber nur zu dieser Zeit, wo es mir wirklich so schlecht ging. Danach habe ich dann auch wieder andere Menschen gemalt. Aber das war für mich so, dass ich sozusagen einfach auf mich selbst zurückgeworfen worden bin.

 

 

Kunst als Möglichkeit, Zuschreibungen zurückzuweisen

Rebecca Maskos: Du hast einen sehr schönen Text geschrieben, der heißt „Den Stein zurückwerfen“ und da beschreibst du, wie die Kunst auch dazu dient, Zuschreibungen und Stereotypisierungen, die Menschen mit Behinderung erleben, umzudrehen und zurückzugeben, also abzuweisen. Ist das oft ein Thema in deiner Kunst, auch Widerständigkeit zu zeigen?

 

Inga Scharf da Silva: Ja, ich denke schon. Indirekt. Das war eher eine intellektuelle Verarbeitung dessen. Ich habe mich da auf Sartre bezogen, der das eigentlich für Schwarze Menschen ausformuliert hat. Das geht natürlich sehr vielen anderen Menschengruppen [so], die eben auch marginalisiert werden oder als irgendwie anders betrachtet werden. Und dann denke ich, ist auf jeden Fall sehr wichtig, dass die Leute selbst sagen, wer sie auch wirklich sind und das zeigen. Ich habe zum Beispiel auch, was mir erst mal gar nicht so bewusst war, […] immer die Ohren weggelassen, bei den Porträts. Ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Und dann haben andere Leute mir das gesagt und dann habe ich die hinterher (lacht) eingefügt. Das war dann der nächste Schritt, dass ich dann einfach auch diese Stellen freigelassen habe. Und dadurch wurde es dann auch sichtbar sozusagen.

 

Rebecca Maskos: Okay?

 

Inga Scharf da Silva: Also, dass es für mich überhaupt nicht so wichtig ist. Meistens ist es ja eher so, dass dann von „normal Hörenden“ gesagt wird: „Das ist ja so traurig, du kannst jetzt nicht die Musik so hören, wie wir das tun und so...“ Man wird sehr häufig bemitleidet und eigentlich empfinde ich meine Welt überhaupt nicht als irgendwie armselig oder so. Im Gegenteil!

 

Rebecca Maskos: Du schreibst in deinen Texten ja auch von der schweren Hörigkeit. Das fand ich eine total schöne Umdrehung von diesem Begriff „Schwerhörigkeit“, der ja doch sehr schwer klingt (lacht), also sehr beladen, sehr viel nach Leid und Ausgrenzung. Und du betonst die Abweisung von Hörigkeit.

 

Inga Scharf da Silva: Genau. Eigentlich ist es ja falsches Deutsch. Also es müsste ja schwer hörend heißen und nicht schwerhörig. Also dieses Wort „hörig“ gibt es ja in der deutschen Sprache. Dass das einfach so kritiklos immer gesagt wird, finde ich sowieso komisch, weil es schon ein Wert ist, wie man spricht. Und ja, ich fand es dann fast ein Kompliment, wenn man sich das so überlegt. Also mir wird sozusagen eine schwere Hörigkeit, eine Widerständigkeit zugesprochen. Oder ein eigenständiges Denken und das ist ja tatsächlich etwas, was passiert, wenn man so abgeschlossen ist. Also man muss irgendwie selbst denken. Mir ging es in der Schule zum Beispiel immer so, dass ich das gar nicht mitbekommen habe, was eigentlich da vorne gesprochen oder diskutiert wurde. Es wird ja immer so abgeschwächt, also es wird ja immer gesagt: „Na ja, du kannst ja auch lesen…“. Keine Ahnung, irgendwelche anderen Sachen. Sogar in der Uni wurde mir gesagt, ich sollte dann die ganzen Kataloge eben durchlesen in der Kunstgeschichte. Das habe ich dann aber tatsächlich auch gemacht und das hat mich dann auch zu einer guten Wissenschaftlerin gemacht, würde ich sagen. Indem ich das ganz genau übernommen oder gelesen habe.

 

Rebecca Maskos: Also sozusagen aus dem Stigma eine Stärke machen, wenn man so will?

 

Inga Scharf da Silva: Genau.

 

Rebecca Maskos: … die man auch künstlerisch nutzen kann. Annton, wie ist das bei dir? Hast du das Gefühl, dass deine Behinderung, du hast ja eine Gehbehinderung, eine Körperbehinderung, dass die Einfluss hat auf deine Kunst?

 

Annton Beate Schmidt: Da ich in meiner Kunst in der Regel mich mit Identitäten befasse und versuche die aufzubrechen – ob das Identitäten sind, wo man lebt, wie man sich fühlt, wie man aussieht, wie man sich bewegt – und das in Welten zusammenfasse, von denen ich denke, das macht uns ein Stück weit aus, kommt das natürlich immer wieder vor. Da ist das Thema Selbstporträt auch sehr oft dabei und dann befasse ich mich natürlich mit mir und damit fließt die Behinderung mit ein, ohne dass ich sie explizit thematisiere. Was ich ganz spannend finde, ist was du gerade gesagt hast, dass du die Ohren weggelassen hast. Ich habe von einem Professor in einem Gespräch erfahren, dass die Bildhauer zum Beispiel, die körperliche Beeinträchtigungen haben, sehr oft diesen Körperteil weglassen. Und ich merke in meiner Malerei auch, ich male Gesichter und Hände. Mit Füßen komme ich nicht klar. Ich krieg es einfach nicht hin! Ich versuche es immer wieder, aber es sieht sehr merkwürdig aus. Weil meine Perspektive zu Füßen auf Grund der Tatsache, dass meine Füße verkrüppelt sind, eine andere ist, als die von Menschen, die damit laufen.

 

Rebecca Maskos: Lässt du die Füße dann auch weg oder wie machst du das?

 

Annton Beate Schmidt: Nicht bewusst. Aber meistens enden Porträts am Bauchnabel, also Körper- oder Menschendarstellungen. Außer bei Illustrationen, also ich mach auch sehr viele Illustrationen. Da ist das dann aber so weit weg von einem realistischen Körperbild, da sind dann irgendwie Schuhe unten an den Füßen dran oder so. Das ist was anderes. Aber das ist dann eher comichaft und deshalb habe ich da weniger Bezug zu. Aber das fällt mir durchaus schon auf. Und wenn man sich selbst malt, befasst man sich natürlich mit dem, was man da malt. Also mir geht es ganz oft so, dass ich male und dann drauf gucke und dann erst merke, was ich da gemalt habe. Ich habe zwar vorher schon irgendwie ein Konzept, aber wenn ich so ein Selbstporträt male, weiß ich sehr oft nicht, was dabei hinten rauskommt […]. In der Rückbetrachtung merke ich dann, oh, jetzt hast du dich aber damit befasst, ohne dass du es gemerkt hast.

 

Rebecca Maskos: Ist es dir generell eigentlich wichtig, dass du als Person raustrittst aus dieser rein klassischen künstlerischen Rolle? Du bist ja jetzt Teil einer Kampagne von Dove, oder?

 

Annton Beate Schmidt: Ja, genau.

 

Rebecca Maskos: Und da gibt es einen kleinen Film über dich, wo deine Behinderung auch Thema ist. Ist das ein Anliegen für dich?

 

 

Sichtbarkeit: "...an all den Orten auftauchen, an denen wir auftauchen möchten"

Annton Beate Schmidt: Mein Anliegen ist es tatsächlich, dass wir Menschen mit Behinderung einfach mehr raus gehen, dass wir uns zeigen, dass wir an all den Orten auftauchen, an denen wir auftauchen möchten und somit unsere Umgebung auch ein Stück weit zwingen, sich damit auseinanderzusetzen. Und ich glaube, wir können im kleinen Kämmerlein diskutieren, solange wir wollen, was Inklusion ist und wie wir uns das wünschen und was vielleicht der geschickteste Weg wäre. Ich glaube Fakten zu setzen, indem wir auftauchen, ist immer noch der effektivste Weg. Und in dieser Kampagne ging es nochmal um etwas anderes. Die nennt sich „Show Us“ und es geht im Prinzip darum, Werbung diverser zu gestalten. Und in diesem Fall besonders das Frauenbild. Frauen mit Behinderung kommen in der Werbung nicht vor. Und Frauen mit Behinderung kommen auch nicht in den Bilddatenbanken der großen Anbieter vor. Wenn man jetzt zum Beispiel Frau im Rollstuhl eingeben würde, würde man sehr, sehr wenig Auswahl an Bildmaterial finden. Und im schlimmsten Fall sogar Fotografien von Frauen, die in Rollstühlen sitzen, die gar nicht in Rollstühle gehören.

 

Rebecca Maskos: Das ist ja Standard. (lacht) Das sind doch Fotos, Bilder im uralt Rollstuhl und so.

 

Annton Beate Schmidt: Genau, weil es halt einfacher ist das zu fotografieren. Aber jeder, der im Rollstuhl sitzt, sieht das auf die erste Sekunde, dass da was nicht stimmt.

 

Rebecca Maskos: Ja.

 

Annton Beate Schmidt: Und solange die Bilddatenbanken damit nicht gefüttert sind, werden Firmen auch nicht drauf zurückgreifen. Ich fand es eine ganz gute Möglichkeit da jetzt mitzumachen. Also, ich sehe schon auffällig aus, anders aus. Ich bewege mich auch anders, weil ich mit Krücken laufe und meine Füße so durchschwinge. Und das gibt es jetzt eben in Bild und Film und ich glaube, dass das Sichtweisen verändern kann und das ist mir sehr, sehr wichtig.

 

Rebecca Maskos: Ja, ich habe den Eindruck, dass Künstlerinnen, Künstler mit Behinderung sowieso selten sichtbar sind. Also ich kenne eine Malerin noch aus den USA, Riva Lehrer, die hat selbst eine Behinderung und für die ist Behinderung auch ganz klar Thema in ihrer Kunst und die ist damit auch sehr erfolgreich, allerdings tatsächlich in einer bestimmten Szene vor allem. Also in den USA ist die in der Behindertenbewegung extrem bekannt, weil sie auch eine exzellente Künstlerin ist, die eigentlich auch genauso auf dem allgemeinen Kunstmarkt Erfolg haben könnte – also hat sie teilweise auch. Aber ich weiß, dass […] es manchmal an ihr nagt, dass sie das Gefühl hat, es bleibt trotzdem so ein Special-Interest-Thema. Was mir auch auffällt, dass […] Kunst von behinderten Künstler*innen immer so als Outsider-Art, also schnell in diese Ecke geschoben wird.

 

Annton Beate Schmidt: Furchtbar. Ganz furchtbar.

 

Rebecca Maskos: Was denkst du dazu? Erzähl mal!

 

 

Raus aus der Soziokultur-Nische

Annton Beate Schmidt: Ich finde es ganz, ganz schrecklich, weil es die Kunst abqualifiziert. Also ich persönlich finde auch reine Frauenkunst schwierig, oder reine Männerkunst. Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn wir anfangen würden das weniger in Schubladen zu denken. Das ist für eine Künstlerin mit Behinderung auch immer so eine Entscheidung: Will ich den Weg gehen, die Nische auszuschöpfen, dass ich eine Künstlerin mit Behinderung bin und dass das vielleicht mein Thema ist? Meine Erfahrung sagt mir, das bedeutet dann auch, dass man in dieser Schublade drinbleibt, und das finde ich für mich persönlich nicht spannend. Es gibt bestimmt Menschen für die das ein völlig guter Weg ist. Ich möchte mir die Option offenhalten, meine Themen so frei, wie Künstlerinnen das können, zu wählen und nicht in so einer Schublade stecken zu bleiben.

 

Rebecca Maskos: Wie siehst du das, Inga? Denkst du, dass das gut ist spezielle Plattformen zu haben?

 

Inga Scharf da Silva: Also ich finde das sehr schade, wenn man eben als Mensch so sehr reduziert wird auf ein bestimmtes Thema. Es sei denn man hat es selbst sich so ausgewählt. Das ist natürlich was anderes. Wenn ich so darauf zurückblicke, was ich so gemalt habe, ist […] es selbstverständlich auch ein Thema, also was ich ja eben schon gesagt hatte, aber ich habe eben auch viele andere Sachen gemacht und darum geht es eigentlich. Ich würde sagen, es gibt eigentlich keine behinderte Kunst an und für sich. Es gibt nur Themen, […] und darunter fällt dann eben auch Frausein oder Behinderung oder andere Dinge, die wichtig für einen sind, die dann auftauchen. Weil Kunst ist ja auch immer etwas, was im Unterbewusstsein irgendwie gräbt und etwas hervorholt, was man sonst nicht so zur Sprache bringen kann.

 

Rebecca Maskos: Ich habe als Außenstehende oft den Eindruck, Behinderung und Kunst, da denken die meisten Leute erst mal an pädagogische Projekte also... Werkstätten...

 

Annton Beate Schmidt: Soziokultur!

 

Rebecca Maskos: Soziokultur! Was ist Soziokultur für Außenstehende?

 

Annton Beate Schmidt: Kultur, die auch immer noch einen pädagogischen Anspruch hat. So würde ich es zusammenfassen. Aber es ist mit Sicherheit nicht die richtige Definition (lacht).

 

Rebecca Maskos: Ja, aber ich glaube, da kann man sich schon was drunter vorstellen. Also, es gibt ja auch ganz tolle Projekte, wie Blaumeier oder die Schlumper in Hamburg. Blaumeier ist in Bremen. Gibt es schon ewig, mit ehemaligen Psychiatriepatient*innen ... Also an sich tolle Projekte.

 

Annton Beate Schmidt: Mit Sicherheit.

 

Rebecca Maskos: Ist das ein Problem, dass öffentlich Kunst und Behinderung oder behinderte Künstler*innen gar nicht mehr anders wahrgenommen werden? Oder sofort auf der Schiene wahrgenommen werden?

 

Annton Beate Schmidt: Also ich glaube tatsächlich, dass es eine persönliche Entscheidung der Künstler*innen ist, welchen Weg sie da gehen. Und Künstler*in zu sein, bedeutet einfach auch finanziell sehr oft in prekären Situationen zu sein. Das ist immer noch so. Das gilt auch für Künstler*innen ohne Behinderung. Und die Soziokultur bietet oft Möglichkeiten, innerhalb dieser Strukturen Projekte zu machen, finanzielle Unterstützung zu bekommen, Projektförderung zu bekommen. Und ich kann durchaus verstehen, dass Menschen dann sagen, das greife ich, damit kann ich wenigstens mein Projekt umsetzen. Ich mache das ganz bewusst nicht, weil ich eben nicht so einseitig wahrgenommen werden möchte. Aber das ist einfach eine persönliche Entscheidung, das kann man gut oder schlecht finden, es entsteht glaube ich hauptsächlich aus dem finanziellen Problem.

 

Rebecca Maskos: Ja, das finde ich super, dass du diese finanzielle Grundlage ansprichst, weil ganz viel Kultur entsteht ja unter sehr prekären Bedingungen. Wie war denn bei euch so euer Zugang bisher zur Kunst? Inga, wie war das bei dir? Warst du auf einer Kunsthochschule?

 

 

Zugänge zum Kulturbetrieb

Inga Scharf da Silva: Ich habe mich mal bei der HdK beworben, bin dann nicht angenommen worden und habe dann beschlossen Ethnologie zu studieren und bin einfach als Nebenhörerin an die HdK gegangen, also die heutige UdK. Das war damals aber auch möglich. Das würde heutzutage gar nicht mehr gehen, weil da müsste man das bezahlen oder sich auch dafür bewerben und so. Für mich war das einfach erst mal ein Freiraum sozusagen, weil ich konnte mein Studium problemlos machen. Ich habe dann nebenbei immer einfach gemalt. Ich hatte auch ein Atelier in der Uckermark, aber das war dann eben über meine Eltern (lacht) und dann erst sehr viel später, als ich so krank geworden bin, da habe ich dann dieses Atelier vom BBK bekommen oder ich habe mich beworben…

 

Rebecca Maskos: BBK? Berufsverband Bildender Künstler, oder?

 

Inga Scharf da Silva: Genau, Berufsverband Bildender Künstler. Da muss man sich auch bewerben. Also, so einfach ist das nicht. Aber die haben eine sehr, sehr, gute Struktur, die auch immer wieder neu in Frage gestellt wird. Und [sie] kämpfen [sehr dafür], dass sie auch unabhängig bleiben. Und das ist natürlich sehr wichtig, dass man die Räumlichkeit hat und die auch bezahlen kann.

 

Rebecca Maskos: Du hast mir mal erzählt, du hast dich später auch für Stellen beworben und bei den Bewerbungsgesprächen hast du deine Schwerhörigkeit – auch aus Gründen – nicht offen gemacht und hast diese Jobs nicht bekommen.

 

Inga Scharf da Silva: Ja, das war eigentlich immer mein Grundkonflikt, dass meine Behinderung unsichtbar ist und dass jeder das Gefühl hat, ach eigentlich hab ich gar nichts, ich bin total normal, und dass auch immer, wenn ich das überhaupt benenne, dann sprechen eigentlich andere Leute für mich und das ist natürlich nicht richtig. Das darf ich mit mir selbst nicht tun lassen, aber ich bin eben auch immer auf eine normale Schule gegangen und deswegen habe ich das dann bei diesen Vorstellungsgesprächen auch überhaupt nicht gesagt. Meistens wird ja davon ausgegangen, wenn man sich in einen großen Kreis setzt, dann ist das was sehr Demokratisches, was sehr Freundliches. Alle gucken sich an, alle sind gleichberechtigt. Aber für mich war das dann eben eigentlich schrecklich (lacht), weil die Leute so weit weg von mir saßen, dass ich gar nicht von ihren Mündern ablesen konnte und ich habe sie einfach nicht verstanden.

 

Rebecca Maskos: Und dann wurde auch nicht mehr wirklich auf deine Qualifikation und dein Können geguckt, sondern irgendwie war das Bewerbungsgespräch komisch…

 

Inga Scharf da Silva: Ja, genau. Ich habe ja immer auf die falschen Fragen geantwortet und (lacht) ...

 

Rebecca Maskos: (lacht)

 

Inga Scharf da Silva: ... weil ich mir dann einfach ausgedacht habe, was die anderen vielleicht gesagt haben.

 

Rebecca Maskos: Annton, wie war das bei dir? Hast du dich beworben für eine Kunsthochschule?

 

Annton Beate Schmidt: Ja, zweimal. Und auch noch ein bisschen an Filmhochschulen und es hat nie geklappt. Bei den ersten Malen würde ich sagen berechtigt.

 

Rebecca Maskos: Wieso?

 

Annton Beate Schmidt: Weil ich einfach noch frisch von der Schule war und eine sehr naive Vorstellung davon hatte, was in so ein Portfolio gehört, ich hatte einfach keine Erfahrung, bin irgendwo auf dem Land aufgewachsen in der Nähe von Frankfurt ohne große Kultur- und Museumserfahrung. Da war ich einfach wirklich grün und ... Später kann ich nicht sagen, warum ich nicht aufgenommen wurde. Das wird einem in der Regel ja nicht gesagt. In einem Fall habe ich eindeutig das Gefühl, dass ich nicht genommen wurde auf Grund meiner Behinderung.

 

Rebecca Maskos: Wieso, was ist da passiert?

 

Annton Beate Schmidt: Ich bin in ein Vorgespräch gekommen, was, wie alle wissen, die sich jemals an einer Kunsthochschule beworben haben, schon mal die erste große Hürde ist. Und für mein Gefühl – also man hat ja immer, wenn man so leise in der Ecke sitzt, ein ganz gutes Gefühl zu den Situationen und zu sich selbst – war das ein sehr gutes und konstruktives Gespräch. Das war an der Kunsthochschule in Frankfurt, die nicht mal am Eingang barrierefrei ist, geschweige Toiletten, Ateliers... irgendwas. Es wäre einfach wirklich ein Aufwand für sie gewesen und dann habe ich ein Nein bekommen. Also, es kann so sein, es kann aber auch einen anderen Grund gegeben haben und das ist immer das Problem, ich kann nicht wirklich den Finger drauf legen.

 

Rebecca Maskos: Also würdest du sagen Barrierefreiheit ist ein grundsätzliches Problem an Kunsthochschulen?

 

Annton Beate Schmidt: Ich denke schon. Ich weiß, die UdK hat jetzt ein bisschen nachgerüstet, aber da war es lange auch so, dass ich nicht einmal diese UdK-Rundgänge machen konnte, außer ich hatte jemanden dabei, der mich die Treppen hoch und runter getragen hat. Es sind sehr oft alte Gebäude... Ich muss dazu sagen, ich habe mich aber beworben – also wie gesagt, ich bin 51 – irgendwann in den 90ern. Das ist natürlich auch schon eine Weile her. Ich kann nichts darüber sagen, wie das im Moment abläuft.

 

Rebecca Maskos: Hast du denn das Gefühl, dass es überhaupt so ein Zusammendenken gibt, dass Künstler*innen, die auf dem generellen Kunstmarkt bestehen wollen, überhaupt eine Behinderung haben?

 

Annton Beate Schmidt: Wie meinst Du das jetzt?

 

Rebecca Maskos: Für den Journalismus, da hatte ich oft den Eindruck, das geht bei vielen. Also es gab auf meinem Weg immer viele, die sehr offen waren dafür. Aber es gab auch immer Leute, die gesagt haben: „Na ja, hm, mit einer Behinderung kann man eigentlich keine richtige Journalistin sein!“ Das kam in deren Kopf nicht vor, weil es ihrem Bild von Journalistin-Sein nicht entsprach.

 

Annton Beate Schmidt: Ja!

 

Rebecca Maskos: …weil das hat mit uneingeschränkter Flexibilität, Mobilität, Belastbarkeit und so weiter zu tun.

 

Annton Beate Schmidt: Natürlich, der Kunstbetrieb ist ein wahnsinnig elitärer Betrieb. Der ist schon für Frauen schwieriger als für Männer, weil es einfach ein verdammter Chauvi-Laden ist (lacht). Und dann gibt es halt auch immer diesen elitären Anspruch an die Kunst zu sagen: „Wollen wir das jetzt, das wir hier Menschen mit Beeinträchtigung im Kulturbetrieb haben? Ist Kunst dann auch wirklich so wertig, wenn das auch Leute verstehen, die jetzt nicht 25 Semester Kunst studiert haben? Lässt sich das gut verwerten?“ Das darf man auch nicht vergessen, das ist ein großer Faktor. Also ich glaube schon, dass da große Ressentiments sind und es hat ein bisschen auch damit zu tun, was wir schon besprochen haben im Bezug auf diese soziokulturelle Schiene, dass Soziokultur natürlich weniger ernst genommen wird als sogenannte Hochkultur.

 

Rebecca Maskos: Und bei der Hochkultur gibt es dann eben dieses Vorurteil, dass Leute mit Behinderung das dann immer in ihrer Kunst zum Ausdruck bringen oder dass sie sozusagen nicht offen genug sein können für andere Themen?

 

Annton Beate Schmidt: Ja, und dass sie vielleicht auf Grund ihrer Behinderung irgendwelche Metaebenen nicht bedienen können, weil sie sich nicht von sich selbst distanzieren können und es dann so Aus-dem-Bauch-raus-Kunst wird, wie Leute die parallel dazu noch Yoga machen. Da gibt es ganz verzerrte Bilder, glaube ich, was Arbeiten als Künstlerin mit Behinderung bedeutet – nämlich nichts anderes als Arbeiten als Künstlerin ohne Behinderung.

 

Rebecca Maskos: Außer mit ein paar anderen Parametern, vielleicht ein paar mehr barrierefreien Ausstellungsmöglichkeiten oder so.

 

Annton Beate Schmidt: Ja, also so praktischen Dingen, aber inhaltlich ist die Entstehung mit Sicherheit die gleiche... Und es kommt noch dazu, dass auf der anderen Seite auch immer sehr heftig darüber diskutiert wird, wie sehr sollen wir denn Kunst, also die fertige Kunst, inklusiv zugänglich machen? Und da gibt es dann auch durchaus in nicht so kleinen Teilen die Meinung „Nee, also wenn das jetzt jeder und jede versteht, ist es dann wirklich noch Kunst?“ Es ist eine ähnliche Diskussion wie mit Einfacher Sprache oder Leichter Sprache.

 

Rebecca Maskos: Du bist ja auch bei Berlinklusion aktiv oder zumindest arbeitest du in dem Netzwerk…

 

Annton Beate Schmidt: Genau. Also ich gehöre zum erweiterten Netzwerk.

 

Rebecca Maskos: …also kennst die Leute... gehörst zum Umfeld sozusagen. Berlinklusion ist ja eine Initiative von behinderten Künstlerinnen und Künstlern...

 

Annton Beate Schmidt: Kurator*innen…

 

Rebecca Maskos: …um die ganze Kulturszene ein bisschen inklusiver zu machen.

 

Annton Beate Schmidt: Genau!

 

Rebecca Maskos: ...die beraten Museen und tauschen sich untereinander aus. Man könnte ja auch sagen: „Na wir haben jetzt 2019, es gibt die UN-Behindertenrechtskonvention. Inklusion ist ja eigentlich kein unbekanntes Thema.“ Warum braucht es denn so was wie Berlinklusion gerade?

 

Annton Beate Schmidt: Also erstens, […] der große Schirm Inklusion ist einfach immer noch nicht sexy, sondern es ist so wie: „Na ja Brandschutz müssen wir und Inklusion sollen wir jetzt auch noch. Ach, wie anstrengend!“ Und dann aus ganz pragmatischen Gründen, also ich erfahre durchaus, dass viele Kulturstätten inzwischen sehr interessiert daran sind, inklusiver zu sein und auch barrierefreier zu sein. Oft ist es wirklich leider die banale Rampe oder die Audiodeskription oder irgend so was in der Richtung. Was aber auch ein sehr, sehr großes Problem ist. Auch auf Grund unserer beider Erfahrungen sieht man das ja schon ein bisschen, dass Künstlerinnen mit Behinderung oft nicht den gleichen Ausbildungsweg haben wie andere Künstlerinnen. Das ist auch ein bisschen was, was Berlinklusion versucht, die Professionalität von Künstler*innen mit Behinderung eben irgendwie besser auszustatten und Angebote zu machen, wo man sich weiterbilden kann. Und im Prinzip sich ein bisschen das Wissen an Bord holt, was andere an der Kunsthochschule einfach lernen.

 

Rebecca Maskos: Was würdest du sagen, was brauchen behinderte Künstlerinnen und Künstler, damit sie besser teilhaben können, damit sie auch auf dem Kunstmarkt mitmischen und erfolgreich sein können? Was sind so die größten Barrieren, die man anfassen müsste?

 

Annton Beate Schmidt: Ich würde es ein bisschen aufteilen. Also ich würde es aufteilen in die eigenen Barrieren der Künstlerinnen, also aus sich heraus. Und in die Barrieren, die einem in der Arbeitswelt oder auf dem Kunstmarkt begegnen. Erst mal Arbeitsmarkt Kunstmarkt: Es müsste bessere Ausbildungsangebote geben. Es müssten sehr verstärkt, was du gerade gesagt hast, Exzellenzprogramme geschaffen werden, dass Künstlerinnen an den Kunsthochschulen studieren können. […] Wir würden so einen Paradigmenwechsel hinkriegen, dass Kunsthochschulen sich damit auch brüsten können und sagen können: „Wir machen das! Wir sind total super und wir wollen eine starke und inklusive Kunst, weil nur dann wird es wirklich spannend. Wenn wir immer nur mit den gleichen Leuten reden, ist die Party auch irgendwann langweilig, und über die gleichen Themen.“ Und gleichzeitig glaube ich, […] dass wir in einer Zeit leben, wo der Kunstmarkt ein bisschen anders funktioniert, und wir haben es mehr selbst in der Hand. Wir haben die Sozialen Medien, wir können anders Verkaufsstrategien entwickeln und ein bisschen fernab vom klassischen Ausbildungsbetrieb – aber was toll wäre, wäre dass nach der nicht besuchten Kunsthochschule nicht auch noch eine Reihe an nicht bekommenen Stipendien und nicht erhaltenen Auslandsaufenthalten oder Residenzen oder so was kommt, weil das eine das andere eben nachzieht. Jemand wird natürlich wichtiger genommen, wenn er eine Vita hinlegen kann, wo drin steht drei Monate Italien, den und den Preis bekommen. Wenn wir in all dem nicht vorkommen, wird sich das nach hinten aus auch nicht verbessern. Und dann würde ich gerne einen Appell an die Künstler*innen selbst richten: „Schafft so viel ihr könnt und so frei wie möglich und völlig unabhängig davon, wo das dann stattfinden soll.“ Und dann würde ich immer sehr genau überlegen, an welchen Projekten und Kooperationen nehme ich teil, an welchen Orten stelle ich aus. Und was du vorhin schon gesagt hast: Wie werde ich da präsentiert? Wie werde ich wahrgenommen? Nehmen die mich richtig ernst oder bin ich so ein behinderter Superhero? Und da sehr auf die eigene Stimme vertrauen. Und was ich gelernt habe und auch immer wieder lerne und es total toll finde, ist Nein sagen. Also wenn irgendwas in mir sagt: „Hier geht es nicht um mich oder es geht nicht um meine Kunst oder hier wird irgendwie so das Mäntelchen der Inklusion vor meiner Nase herum gewedelt und eigentlich ist es nicht ernst gemeint“, dann sage ich höflich und freundlich Nein und gucke, wie sich das weiter entwickelt bei denen, die mich da angefragt haben, ob ich da in der Zukunft vielleicht mal Ja sage, aber erst mal bin ich dann raus.

 

Rebecca Maskos: Das finde ich ein sehr schönes Schlusswort: an der richtigen Stelle Nein sagen!

(alle lachen)

[Musik]

Ja, vielen Dank euch beiden!

 

Annton Beate Schmidt und Inga Scharf da Silva: Sehr gerne.

 

Rebecca Maskos: Und ich wünsche Euch alles Gute für kommende Projekte, Ausstellungen und so weiter. Tschüss!

[Musik]

 

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