Die Stimmung ist gelöst, als am Abend die australische Indierockband Rudely Interrupted spielt. Auch die zwei AUSLAN-Dolmetscher*innen (AUSLAN = Australian Sign Language oder deutsch: australische Gebärdensprache) tanzen und übersetzen gleichzeitig die Songtexte. Es geht um große Gefühle und für alle, die kein AUSLAN sprechen, aber den Dolmetscher*innen zusehen, ist nicht immer ganz klar, wo die großen Gesten eines Liebeslieds aufhören und wo das Tanzen beginnt. Auch das ist Barrierefreiheit.

Im Hintergrund spielt die Band Rudely Interrupted, im Vordergund übersetzt ein Dolmetscher den Songtext in Australische Gebärdensprache

Konzert der Band Rudely Interrupted

Um über Barrieren im Kulturbetrieb und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Kunst und Kultur zu diskutieren, hatten wir von Diversity Arts Culture gemeinsam mit Arts Access Australia und Berlinklusion am 16. Oktober ins Podewil eingeladen. Dabei ging es für uns als junges Projekt, das vom Berliner Senat beauftragt ist, die Diversität im Kulturbereich zu fördern, beim Meeting Place 2017 auch darum, von den erfahrenen Kooperationspartnern und durch den internationalen Austausch zu lernen.

Drei Tagungsmappen in Normaldruck, Großschrift und Braille, deutsch und englisch

Drei Tagungsmappen in Normaldruck, Großschrift und Braille, deutsch und englisch

Standards Down Under

Bei der Planung und Durchführung der Tagung wurde schnell deutlich, dass die australischen Standards in vielen Fällen besser sind als die deutschen. Angefangen beim „Disability Access and Inclusion Plan“, den in Australien alle öffentlichen Institutionen entwickeln müssen, in dem sie sich verpflichten, Barrieren auf unterschiedlichen Ebenen abzubauen, und dessen Fortschritt regelmäßig überprüft wird. Bis hin zu der routinierten Sorgfalt und dem Blick fürs Detail, mit dem Arts Access Australia Fragen der Zugänglichkeit bei den eigenen Veranstaltungen berücksichtigt.

Die meisten Barrieren konnten wir so dank der Erfahrung von Arts Access Australia, der guten Vernetzung von Berlinklusion und Förderband sowie der Beratung durch den Allgemeinen Blinden und Sehbehindertenverein schon im Vorfeld der Veranstaltung identifizieren und abbauen. So testeten wir beispielsweise verschiedene Online-Anmeldeformulare gemeinsam mit dem ABSV und organisierten eine vierfache Übersetzung in deutsche und englische Lautsprache, Deutsche Gebärdensprache und AUSLAN, die glücklicherweise erstaunlich gut funktionierte. Das Livestreaming, das Menschen mit eingeschränkter Mobilität von zu Hause nutzen und das für die Australier*innen selbstverständlich zum Meeting Place dazugehört, konnten wir mit unseren begrenzten Ressourcen hingegen nicht anbieten.

Letztlich war es für uns wichtig, eine barrierearme Veranstaltung dieser Größenordnung durchzuführen, um unser theoretisches Wissen über Barrierefreiheit in ein praktisches zu verwandeln und zu lernen, wer Expert*innen zu bestimmten Aspekten von Barrierefreiheit sind, und uns mit ihnen zu vernetzen.

Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen von Arts Access Australia, Förderband und Berlinklusion

Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen von Arts Access Australia, Förderband und Berlinklusion

Forderungen an den Kulturbetrieb

Die australischen und deutschen Künstler*innen mit Behinderung, die sich und ihre Arbeit während des Meeting Place vorstellten, sind Ausnahmeerscheinungen. Sie sind in einem Kulturbetrieb erfolgreich, der ihre Zugangsbedürfnisse häufig ignoriert und ihre Kunst gerne in einen sozio-kulturellen Kontext stellt: Kunst mit Gefühl. So müssen sie Gebärdensprachdolmetscher*innen meist selbst organisieren und bezahlen; sie müssen die eigenen Bedürfnisse immer wieder neu erklären und Jurys und Kritiker*innen überzeugen, die häufig nicht wissen, wie sie ihre Kunst bewerten sollen. Ästhetische Fragen rücken dabei sowohl für sie als auch für ihr Publikum viel zu oft in den Hintergrund. Auch schaffen es nur wenige Künstler*innen mit Behinderung in Leitungspositionen, die ihnen mehr Gestaltungsraum ermöglichen würden.

In den kommenden Jahren möchten wir deswegen gezielt Programme und Angebote schaffen, durch die sich Kulturschaffende und Künstler*innen mit Behinderung weiter qualifizieren können und die sie stärken.

 

“Can you really die from a broken heart?”, singen Rudely Interrupted abends im Podewil.

Und während einige die Musik hören und im Takt mit dem Kopf nicken, warten andere, wie das wohl aussieht: ein gebrochenes Herz in australischer Gebärdensprache.

 

(Text: Cordula Kehr)

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