Audismus

Audismus

bezeichnet die Diskriminierung Tauber Menschen. Dieser liegt eine höhere Wertschätzung von Hören und Sprechen und eine Abwertung Tauber Menschen als „defekt“ zugrunde. Viele Hörende haben die Vorstellung, dass ein Leben ohne Gehör minderwertig sei. Eine Folge davon ist die Diskriminierung von Gehörlosenkultur und Gebärdensprache(n), die bis heute als weniger wert betrachtet und marginalisiert werden.

 

Audismus ist tief in der Mehrheitsgesellschaft verwurzelt. Das zeigt sich schon in der (Gehörlosen-)Schule, wenn Taube Menschen gezwungen werden, Lautsprache zu erlernen statt Unterricht in ihrer Muttersprache zu bekommen. Dies ist Realität für viele Taube, da sie in einem hörenden Umfeld aufwachsen. Auch wird vielen von ihnen der Zugang zu Veranstaltungen oder Ausbildungen verwehrt, weil diese keine Dolmetscher*innen für Deutsche Lautsprache/Deutsche Gebärdensprache (DGS) bereitstellen.

Zudem stehen nur wenige Informationen in Gebärdensprache zur Verfügung, etwa im Internet. Nicht alle Menschen, die Gebärdensprache als Erstsprache nutzen, können ohne Schwierigkeiten Schriftsprache lesen und schreiben, da diese nach ganz anderen Regeln funktioniert und wie eine Zweitsprache erlernt werden muss.

 

Im Kulturbereich ist Audismus zum Beispiel daran zu erkennen, dass es in der Mainstream-Kultur sehr wenig Angebote in Gebärdensprache gibt. Es gilt derzeit als gutes Beispiel, wenn Veranstaltungen wie Theaterstücke oder Podiumsdiskussionen in Gebärdensprache übersetzt werden. Eine Gleichbehandlung würde jedoch bedeuten, dass in allen Kulturinstitutionen auch Veranstaltungen in Gebärdensprache stattfinden, die dann in Lautsprache übersetzt werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre, dass Taube oder schwerhörige Menschen selbstverständlich im Kulturbetrieb arbeiten können, weil genug hörende Kulturpraktiker*innen auch Gebärdensprache verwenden und offen für eine Zusammenarbeit mit Tauben Menschen sind.

Davon ist die Kulturszene derzeit leider sehr weit entfernt. Taube Menschen organisieren daher größtenteils ihre eigenen Events, wie etwa die Deutschen Kulturtage der Gehörlosen, Gehörlosen-Sport-Meisterschaften oder das ViFest, ein Festival für Gebärdensprachler*innen. Ein Community-übergreifendes Projekt ist die Gruppe Shut Up and Sign_Speak, die eine gemeinsame Show hörender und Tauber Spoken Word Künstler*innen kollektiv erarbeitet hat. Die Inititative Deaf Performance Now kritisiert den aktuellen Trend, Musikveranstaltungen zu verdolmetschen, ohne Taube Dolmetscher*innen und/oder Taube Künstler*innen in die Programmgestaltung einzubinden, und fordert mehr Bühnenpräsenz für Taube Kunstschaffende bei Musikveranstaltungen.

 

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Silvia Gegenfurtner entstanden.

Silvia Gegenfurtner ist Sozialarbeiter*in, lebt in Berlin und studiert Kritische Diversity und Community Studies. Silvia ist Taub, genderqueer und weiß. Sie* macht audismuskritische Workshops für die hörende Dominanzkultur, damit diese sich mit ihren strukturell verankerten hörenden Privilegien beschäftigt und irgendwann hoffentlich audismuskritisch denkt.

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Taub

[taʊ̯p]

ist eine positive Selbstbezeichnung nicht hörender Menschen, unabhängig davon ob sie taub, resthörig oder schwerhörig sind. Damit wird auch gezeigt, dass Taubheit nicht als Defizit angesehen wird.

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Deutsche Gebärdensprache (DGS)

ist seit 2002 in Deutschland eine anerkannte Sprache. Sie hat ein eigenes Sprachsystem mit Handzeichen, Mimik und Körperhaltung, das sich komplett von der deutschen Lautsprache unterscheidet.

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Marginalisierung

[ˌmaʁɡinaˑliˈziːrʊŋ]

bezeichnet die Verdrängung von Individuen oder Gruppen an den Rand der Gesellschaft. Die Verdrängung kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen, also zum Beispiel geografisch, wirtschaftlich, sozial oder kulturell sein; meist spielt sie sich auf mehreren Ebenen ab.

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Ableismus

[ɛɪ̯bəˈlɪsmʊs]

ist ein am englischen Wort ableism angelehnter Begriff, der aus der US-amerikanischen Behindertenbewegung stammt. Er beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, indem Menschen an bestimmten Fähigkeiten gemessen und auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden.

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