Das Gespräch im Wortlaut

Sandrine Micossé-Aikins (Leitung Diversity Arts Culture): Wir freuen uns ganz besonders heute Yvette Mutumba und Abid Hussain hier zu haben, die uns noch ein bisschen mehr Einblick in Theorie und Praxis von Diversitätspolitik im Kulturbetrieb geben können.

 

Abid und Yvette, ich würde euch gerne auf die Bühne bitten. Wie die meisten, die seit einigen Jahren im Kulturbetrieb überleben, haben beide sehr lange Lebensläufe. Ich werde mich auf das konzentrieren, was für das heutige kurze Gespräch am relevantesten erscheint. Abid Hussain ist Direktor für Diversität beim Arts Council England, der nationalen Entwicklungsagentur der Künste. Dort ist er zuständig für die Arbeit rund um Gleichstellung und Diversität. Yvette Mutumba ist Mitgründerin und Chefredakteurin des Kunstmagazins Contemporary And und war von 2012-2016 Kuratorin beim Weltkulturen Museum in Frankfurt.

 

Ich werde mit Abid beginnen, da uns das Diversitätsprogramm des Arts Council „Creative Case for Diversity“ sehr inspiriert hat. So etwas möchten wir hier perspektivisch auch aufbauen, zumindest auf lokaler Ebene. Auf deiner Webseite beschreibst du drei ineinandergreifende Entwicklungen: Gleichstellung, Anerkennung und eine neue Vision, welche eine zentrale Rolle in deiner Vorgehensweise spielt. Kannst du kurz beschreiben, wie sich diese auf die Arbeit des Arts Council auswirken und wie sie sich in konkrete Maßnahmen übersetzen lassen?

 

Abid Hussain (Direktor für Diversität beim Arts Council England): Können Sie mich hören? Ich bin sehr inspiriert von der Anzahl der Menschen, die heute hier im Raum sind. Ich würde mich sehr freuen, vor so einem Publikum in England sprechen zu können. Allein die Tatsache, dass Sie heute hier sind, weil Sie glauben, dass dies eine wichtige Angelegenheit ist, bedeutet, dass die halbe Arbeit schon getan ist.

 

Der Creative Case of Diversity des Arts Council England

Ich möchte kurz über sechs wesentliche Dinge sprechen, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Es geht mir darum einige Denkanstöße zu geben, die mit Vielem von dem, was wir heute schon gehört haben, in Verbindung stehen. Der Creative Case of Diversity ist das Herzstück des Arts Council und diesem liegt folgendes Prinzip zugrunde: Gespräche über Diversität sollten geknüpft sein an Gespräche über Kunst und Kultur. Jede Person in diesem Raum ist heute hier, weil sie an die Kraft von Kunst und Kultur glaubt. Wir möchten, dass die Verknüpfung zwischen Diversität und Kunst untrennbar ist.

 

Als Teil davon wollen wir sicherstellen, dass der Kulturbetrieb in England die Diversität aller Gruppen widerspiegelt. Stellen Sie sich vor, Sie sind eine junge Person mit Afro-Karibischer Migrationsgeschichte oder wie meine Tochter, deren Eltern aus Pakistan kommen, sehen Sie sich repräsentiert auf unseren Bühnen? Sehen Sie sich repräsentiert in unseren Galerien? Es ist wichtig, sichtbar zu sein und es ist wichtig, dass der Kunst- und Kultursektor – egal ob in Berlin oder in London – die Perspektiven aller Gesellschaftsgruppen widerspiegelt. Das Publikum sollte die Diversität der Gemeinschaften unserer Gesellschaft widerspiegeln. In Städten wie Berlin, Birmingham und London gibt es viel mehr Diversität als anderswo. Jede*r von Ihnen weiß, wie divers Ihr Publikum ist. Es handelt sich hier gleichermaßen um ein künstlerisches wie auch ein wirtschaftliches Argument für mehr Diversität. Wird eine entscheidende Zielgruppe, die den ökonomischen Wert Ihrer Einrichtung erhöhen könnte, nicht mitgedacht, dann ist das etwas, worüber Sie nachdenken sollten.

 

Diversität als Leitungsaufgabe

Wenn Gleichstellung und Chancengleichheit im Rahmen von Diversität thematisiert werden, ist es unerlässlich, dass auch über Leitungspositionen in Einrichtungen gesprochen wird. Diversität darf nicht nur in Bezug auf das Publikum zentral sein. Diversität sollte auch bei den Menschen, die die Geschichten der Zielgruppe auf der Bühne präsentieren, mitgedacht werden.

 

Wer sind die wichtigsten Entscheidungsträger*innen? Ich darf das jetzt sagen, weil ich aus England komme: Wenn Sie sich im Raum umschauen, ist das das Berlin in dem Sie leben? Oder ist dies eine Repräsentation eines bestimmten Teils von Berlin? Ich denke, dass das wirklich entscheidend ist, weil z.B. in Birmingham, wo ich lebe, 40 Prozent der Bevölkerung einen diversen Hintergrund hat.

 

Ich sage Leuten daher immer: Die Stadt, in der ich wohne, ist sehr vielfältig, aber die Stadt, in der ich arbeite, ist nicht sehr vielfältig. Bei der Arbeit sehe ich nicht die Menschen, die ich in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der High Street sehe, und das ist wirklich zentral. Was werden wir, die Entscheidungsträger*innen in diesem Raum, die die Macht haben einen Kulturwandel herbeizuführen, tun, um sicherzustellen, dass andere Menschen die gleichen Chancen haben, die wir haben durften? Ich denke, das ist die entscheidende Frage. Und damit wird auch das Thema Diversität am Arbeitsplatz sehr wichtig. In Bezug auf den Berufseinstieg aber auch in Bezug auf die Entwicklung der beruflichen Laufbahn. Ob ich über mich oder irgendeine Person hier im Raum spreche, die Entscheidungsmacht hat, wir müssen uns die Frage stellen: Welche Entscheidungen werden wir, während wir die Macht haben, treffen, um bestimmte Konditionen oder die Kulturorganisation zu verändern? Wenn wir dann das nächste Mal Führungspositionen neu besetzten, spiegeln die gewählten Personen eine größere Vielfalt unserer Stadt wider.

 

Vorhin haben wir über Daten gesprochen und ich denke, Daten sind von wesentlicher Bedeutung. Wenn Sie ein politischer Entscheidungsträger sind, dann sind Daten Ihr Weg, eine Geschichte zu erzählen. Daten zeigen auf, was wir gut machen und auch, wo wir nicht effektiv arbeiten. Daten ermöglichen uns auch, Strategien und Richtlinien zu entwickeln, um konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Und der abschließende Punkt, auf den ich hinweisen möchte, ist: Das alles ist verpackt in unsere Investitionen. Der Arts Council – wir sind die nationale Entwicklungsagentur der Künste – vergibt ungefähr 445 Mio Pfund im Jahr. Und für mich ist es wichtig, dass Diversität ein zentraler Teil aller unserer Angebote ist. Was wir dem Kunstsektor in England gesagt haben, ist: Wenn ihr öffentliche Gelder wollt, müsst ihr euch für Diversität einsetzten.

 

Diversität in Großbritannien und in Deutschland im Vergleich

Sandrine Micossé-Aikins: Das ist einen Applaus wert. Yvette, du beschäftigst dich mit diesem Thema im weiteren Sinne schon sehr viel länger als es in der deutschen Mehrheitsgesellschaft Thema ist. Du hast sogar auch deine Doktorarbeit über die Repräsentation von afrikanischer Kunst und Kunst aus der Diaspora in Deutschland geschrieben. Ich finde, wenn es um Repräsentation in Kunst und Diversität geht, dass es in Großbritannien viele der gleichen Probleme gibt wie hier, aber es dort eine viel längere Geschichte gibt, sich in Form von politischen Maßnahmen und Diskursen damit auseinanderzusetzten. Da du in beiden Kontexten studiert und gearbeitet hast, kannst du einen Vergleich ziehen oder anders gesagt: Gibt es etwas, was Großbritannien auszeichnet, das Deutschland nicht hat aufgrund eines unterschiedlichen Umgangs mit Diversität?

 

Yvette Mutumba (Chefredakteurin Magazin Contemporary And): Zuerst einmal danke für die Einladung. Ich werde ganz spezifisch über den Bereich Bildende Kunst sprechen, weil ich dort unterwegs bin. Wenn wir hören, was Abid über Diversität im Kunstsektor sagt, dann erkennen wir, dass dieses Thema viel verwurzelter ist in Großbritannien. Dies hat mit der Geschichte und allen möglichen Bewegungen zu tun, die in Großbritannien schon viel früher passiert sind und die wir nicht wirklich in Deutschland haben.

 

Aber ich denke auch, dass ein stärkerer Druck von diesen Gemeinschaften ausging, um diese Veränderungen herbeizuführen. In Deutschland haben wir natürlich Netzwerke, Konferenzen und Veranstaltungen wie diese, aber ich denke, dass sich das Thema Diversität im Kunstbereich noch sehr an der Oberfläche bewegt. Das Thema wird zwar von bestimmten Akteuren vorangetrieben, die versuchen, diese wichtigen Themen miteinander zu verbinden. Aber es wird nicht wirklich tiefgründiger behandelt. Das ist etwas, was du auch schon mal gesagt hast.

 

In Bezug auf den Bereich Bildende Kunst kann ich sagen: Als ich für viereinhalb Jahre  Museumskuratorin war und Konferenzen besuchte, war ich immer die einzige, die in irgendeiner Weise divers war. Ich denke, das ist sehr aussagekräftig. Und ich spreche über die letzten zwei oder drei Jahre, nicht die letzten zehn Jahre.

 

Also, es stimmt wirklich. Vielleicht gibt es Leute, die jetzt sagen werden: darüber haben wir schon in den Neunzigern gesprochen und in den Zweitausendern auch. Aber es ist weiterhin ein Problem und dies ist die Realität von Menschen wie mir oder dir, die im Kultursektor in Deutschland arbeiten. Diversität ist hier noch nicht angekommen. Und ich denke, das ist der grundlegende Unterschied. Wir stehen im weitesten Sinne noch am Anfang im Vergleich zu Großbritannien.

 

Sandrine Micossé-Aikins: Ich denke, es wird unsere Aufgabe sein herauszufinden, was schief gelaufen ist in den Projekten rund um Diversität in Deutschland. Abid, ich glaube, du arbeitest seit bereits 16 Jahren für den Arts Council – das ist ganz schön lange.

 

Abid Hussain: Ich bin aber noch sehr jung.

 

Britische Kulturinstitutionen im Praxistest

Sandrine Micossé-Aikins: Du kannst trotzdem noch sehr jung sein. Das Programm wurde 2012 gegründet. Stimmt das? Und hat sich dann 2014 noch mal verändert? Kannst du beschreiben, welchen Effekt das Diversitätsprogramm auf die Kunstszene in England hatte?

 

Abid Hussain: Wir sollten nicht vergessen, dass wir in England seit 40 Jahren diese Gespräche führen und wir haben nicht immer alles richtig gemacht. Es sind sehr langwierige Gespräche, die wir führen. Wir haben den „Creative Case“ 2011 gestartet und zu dem Zeitpunkt hatten wir größtenteils Wünsche bezüglich der Entwicklung der Kunstszene in England. Und diese Wünsche waren eine Antwort auf die Überlegung: Wie kann man großartige Kunst schaffen, ohne dabei die Qualität zu beinträchtigen?

 

Was sich in England seit 2014 verändert hat, ist, dass wir gesagt haben: Es geht nicht nur um Wünsche, es geht jetzt um Handlungen. Wir wollen, dass ihr uns zeigt, wie Diversität in der Praxis aussieht. Alle von Ihnen sind damit vertraut, wie Anträge geschrieben werden. Es ist sehr leicht, in einen Förderantrag zu schreiben: das ist, was wir machen werden. Die große Veränderung, die wir beim Arts Council gemacht haben, ist, dass wir Organisationen gesagt haben: Ihr werdet uns sagen, was ihr machen werdet, und nach 12 Monaten fragen wir euch, ob ihr es gemacht habt. Dann wollen wir die Nachweise dafür, ob ihr es auch durchgeführt habt.

 

Wir geben dann eine öffentliche Bewertung darüber ab, ob Organisationen etwas umgesetzt haben oder nicht. Ein Bespiel dafür ist: Alle Organisationen in England bewerben sich zurzeit auf Regelfinanzierung für die nächsten vier Jahre. Wenn Organisationen nicht das notwendige Level an Diversität aufzeigen und die Bewertung „nicht erfüllt“ erhalten, dann werden wir keine Förderungsvereinbarung abschließen. Sie müssen beweisen können, dass sie Diversität ernst nehmen. Zum ersten Mal hat sich etwas Grundlegendes verändert und das ist, dass Organisationen in die Verantwortung gezogen werden. Aber es geht auch darum, Informationen über die Organisationen an die Öffentlichkeit zu bringen, weil wir dann anfangen können zu sagen: Dies sind die Organisationen, die nicht divers genügend sind, und somit gehen diese Organisationen ein Reputationsrisiko ein.

 

Und plötzlich fragen die Leute mich nicht mehr: warum ist Diversität nicht Teil der Arbeit dieser Organisation, sondern sie rufen die Organisationen direkt an. Vor einigen Jahren haben wir Daten über die Arbeitskräfte einiger der Organisationen veröffentlicht, die recht hohe Förderungssummen erhalten. Und einige dieser Organisationen hatten nicht eine einzige Arbeitskraft eingestellt, die zur Diversität der Organisation beitragen konnte.

 

Plötzlich fingen die Branchezeitungen, die Gewerkschaften und Rundfunksender an, diese Organisationen anzurufen und diese haben schlagartig bemerkt, dass das Reputationsrisiko erheblich ist, wenn Diversität nicht umgesetzt wird. Ich glaube also, dass es diese Art von Kulturwandel ist, der große Auswirkungen hat.

 

Sandrine Micossé-Aikins: Yvette, ich lese jetzt ein Zitat von der Creative Case Webseite vor. Dieses Zitat ist von Sir Brian McMaster – Du musst nicht wissen, wer das ist. Es geht um den Inhalt – aus dem Bericht von 2008 für das Ministerium für Kultur, Medien und Sport für Exzellenz im Kulturbetrieb. Ich zitiere: „Ich glaube, dass Kultur nur dann herausragend sein kann, wenn sie relevant ist und daher kann nichts herausragend sein, ohne dass es die Gesellschaft, die sie schafft und erlebt, widerspiegelt.“ Kannst du uns ein Beispiel nennen, wo ein proaktiver Diversitätsansatz bedeutend für dich war? Du hast uns gerade ein Beispiel genannt, wie es nicht laufen sollte. Das Beispiel, wo du die einzige im Raum warst. Kannst du uns ein positives Beispiel nennen?

 

Best Practice Beispiele aus Deutschland

Yvette Mutumba: Ich habe zwei Beispiele aus meinen letzten beiden Jobs. Die Erfahrung, die ich gerade beschrieben habe, war auch ein positives Beispiel dafür, wie es zu der Anstellung kam. Die Direktorin suchte gezielt nach einer Person, die qualifiziert ist, aber die auch eine andere Sichtweise mitbringt. Sie war sich dessen sehr bewusst und interessanterweise war sie Britin. Sie brachte andere Erfahrungen und Hintergrundwissen ans Museum. Und ich denke, das war wichtig für die öffentliche Wahrnehmung des Museums und die Arbeit, die wir dort geleistet haben. Es hat eine Rolle gespielt, wenn es darum ging, wie wir verschiedene Zielgruppen erreichen. Genau das, was du gerade angesprochen hast. Eine Person zu kennen, mit der du dich identifizieren kannst und denkst: „Ok, Interessant!“ Es ist interessant, was diese Person macht, und es ist nicht elitär oder kompliziert oder so. Das war sehr positiv in Hinblick auf die Arbeit, die wir innerhalb und außerhalb der Einrichtung gemacht haben.

 

Das andere Beispiel bezieht sich auf meine Arbeit beim Kunstmagazin Contemporary And, welches ich vor viereinhalb Jahren mitgegründet habe und welches immer noch vom Institut für Auslandsbeziehungen (IFA) und dem Auswärtigen Amt teilfinanziert wird. Die haben uns diese Plattform gegeben und gesagt: Ich glaube wir brauchen das und seitdem ist es ihnen egal, was genau wir machen. Wir kriegen das Geld und die lassen uns wirklich das machen, was wir machen wollen. Ich glaube, dass das ein positives Beispiel ist, weil für die geht es nicht darum zu sagen: Achim Steiner wird nach Tansania reisen und daher müssen wir etwas über Kunst in Tansania berichten. Es geht darum, dass diese Förderer Vertrauen in unsere Expertise und unsere Netzwerken haben. Ich denke, das ist sehr wichtig, wenn man alle bereits erwähnten Aspekte mit einbezieht.

 

Sandrine Micossé-Aikins: Also passiert etwas. Abid, der Vorteil in den Rückstand geraten zu sein ist, dass wir von euren Fehlern lernen können. Was wäre der wichtigste Ratschlag, den du uns für die Zukunft des Projektbüros mitgeben möchtest?

 

Ratschläge für die Diversitätsarbeit im Berliner Kulturbetrieb

Abid Hussain: Ich habe mehr als nur einen Ratschlag, bitte entschuldigt. Erstens, ich bin jetzt sehr ehrlich. Manchmal müssen wir anerkennen, wenn Diskriminierung stattfindet. Wir müssen anerkennen, dass sie stattfindet. Wenn wir uns zum Beispiel die Kunstszene in Berlin anschauen, kann ich mir vorstellen, dass es Menschen in Führungspositionen geben sollte, welche Frauen, Behinderte und of Color sind. Als erstes müssen wir uns eingestehen, dass etwas grundsätzlich falsch ist innerhalb des Kunst- und Kultursektors. In den Achtzigern und Neunzigern haben wir erkannt, dass es zum Beispiel im Theaterbereich in England institutionellen Rassismus gibt. Das hat uns ermöglicht, ein ehrliches Gespräch zu führen darüber, was verändert werden muss. Ich glaube, ihr braucht Mut, um sehr schwierige und unangenehme Gespräche zu führen.

 

Ich hätte meine Arbeit nicht machen können, wenn es nicht zwei weiße bürgerliche Männer geben hätte – der Vorsitzende und der Vorstandsvorsitzende – die gesagt haben: Diversität ist dem Arts Council wichtig. Daher denke ich, eine Leitung of Color auf die Bühne zu holen, reicht nicht aus, um Diversität zu leben. Es erfordert, dass alle in der Organisation hinter dem Diversitätsansatz stehen. Es geht darum, die Leute einzuschließen, welche von Gesprächen ausgeschlossen worden sind, aber auch die Leute mit einzubeziehen, die bereits Teil dieser Gespräche sind.

 

Und nie Angst haben mehr Geld zu verlangen. In 2014 betrug das Budget für Diversität fünf Millionen Pfund, letztes Jahr waren es 11,8 Millionen. Ich bin immer wieder hin und habe mehr Geld verlangt. Wenn es gute Initiativen, Projekte  und Ideen gibt, dann findet sich auch das Talent, um diese zu unterstützen. Unser Vorstandsvorsitzender sagt immer: Talent gibt es überall, aber Chancen nicht. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass talentierte Menschen in jeder Stadt und in jedem Land die gleichen Chancen bekommen, die andere für selbstverständlich halten. Und das ist Gerechtigkeit: dafür zu sorgen, dass Menschen die gleichen Chancen haben.

 

Ich würde auch sagen, dass es wichtig ist, langfristig zu planen. Wir planen in Zyklen von drei bis vier Jahren für unsere Förderrunden, in Zyklen von 10 Jahren für Strategieentwicklung und fangen jetzt an, uns Talentförderung über einen Zeitraum von 25 Jahren anzuschauen.

 

Um Dinge im Ballet, der klassischen Musik oder Oper zu verändern, müssen wir mit den Kindern beginnen, die heute zwei oder drei Jahre alt sind. Wir müssen sicherstellen, dass wir einige der Kunstorganisationen, die vom Arts Council gefördert werden, unterstützen. Und ihnen sagen: ihr werdet keine Resultate in zwei oder drei Jahren sehen und auch nicht in fünf. Aber das ist in Ordnung. Manchmal müssen wir Organisationen Zeit geben, um Dinge umzusetzen. Wenn es eine Veränderung bei den Talenten, die auf der Hauptbühne in der Oper stehen, geben soll, dann braucht das 10, 15, 20 Jahre. Diese Zeit  müssen wir investieren.

 

Wir haben auch diversitätsspezifische Programme entwickelt. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass du diese Initiative gestartet hast und gleichzeitig – wie vorhin erwähnt – bin ich etwas gierig. Ich habe versucht Diversität in jedes Förderprogramm, welches wir entwickeln, einzubinden. Zum Beispiel haben wir ein strategisches Tournee-Programm und die größte Förderung, die wir je in diesem Programm bewilligt haben, kam einem neuen Theater für behinderte Menschen zugute. Und der Fokus dieses Programms ist nicht hauptsächlich Diversität. Wir haben 2,3 Millionen Pfund in dieses eine Projekt investiert.

 

Und dies kommt nicht aus dem Diversitätsfonds. Aber die größte Förderung ist in ein Projekt geflossen, in dem Diversität einer der zentralen Aspekte ist. Und das ist eines der Dinge, die sich für uns beim Arts Council verändert haben. Hätten wir dieses Gespräch vor fünf Jahren geführt, hätte ich von Investitionen von zehn oder 20 Tausend Pfund gesprochen.

 

Heute kann ich von einer Projektinvestition in Höhe von 2,4 Millionen Pfund sprechen. 1,8 Millionen Pfund haben wir in die Leitinitiative „Unlimited“ investiert, welches unser Programm rund um das Thema Behinderung ist. Plötzlich verändert sich das Ressourcenlevel. Denn wenn wir historische Ungerechtigkeit angehen wollen, müssen wir uns auf erhebliche Investitionen einlassen. Was mich wirklich trifft ist, dass Minderheiten zu oft als ‚die Minderheit‘ gefördert wurden, aber wir sind nicht mehr die Minderheit, die wir einst waren.

 

Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, handelt von etwas, was mir eine Person vor ein paar Jahren in Südafrika gesagt hat. In Südafrika sind Fördergelder sehr knapp. Aber das Land hat einige der außergewöhnlichsten Künstler*innen in der ganzen Welt. Als ich gefragt habe, wie sie das hinbekommen, erhielt ich folgende Antwort: Wir können uns keine Fehler leisten. Außerdem wurde mir erzählt, dass das Budget für Kunst unter der Apartheid ausreichte, weil das Budget die Minderheit gefördert hat. Nach der Apartheid wurde das Budget für Kunst nicht erhöht, aber dann mussten alle – nicht nur die Minderheit – gefördert werden. Ich denke es geht um die Umverteilung der Ressourcen, um eine gerechte Kunstlandschaft zu gestalten. Das braucht Zeit. Als Leitungen der großen Organisationen hier in Berlin bitten wir Sie nicht darum, Ihr Geld oder Ihre Ressourcen aufzugeben. Was wir sagen möchten ist: Denken Sie darüber nach, welche Ressourcen Ihnen zur Verfügung stehen und wie Sie diese anders verteilen und investieren können, damit sie die breiteste Öffentlichkeit und so viele Gemeinschaften wie möglich erreichen.

 

Sandrine Micossé-Aikins: Aufbauend auf dem, was Abid gerade gesagt hat: In etwa drei Sätzen, was ist deine Vision für die deutsche Kunstszene in zehn Jahren, Yvette?

 

Yvette Mutumba: Ich hoffe in zehn Jahren treffen wir uns wieder, stehen zusammen hier und können so reden, wie Abid das gerade tut und sagen: Das haben wir getan. 

 

Sandrine Micossé-Aikins: Ich habe noch tausend  Fragen an euch. Leider haben wir heute keine Zeit mehr, diese zu stellen. Aber ich bin mir sicher, dass wir einen Weg finden werden, euch zeitnah noch einmal einzuladen, um tiefer in das Thema einzusteigen. Jetzt bedanke ich mich erst einmal und gebe das Mikrofon zurück an Breschkai.